Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände NRW
27.05.2021

Krisenhilfe für Kommunen – Antrag im Landtag Nordrhein-Westfalen

Stellungnahme zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW zu Sicherung kommunaler Handlungsfähigkeit in der Krise.

Stellungnahme anlässlich der schriftlichen Anhörung "Städte und Gemeinden in der Pandemie nicht im Regen stehen lassen - Kommunen schnell, planbar und verlässlich durch die Krise helfen"
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/13061

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen hat einen Antrag mit einer Reihe von Maßnahmen, die die kommunale Handlungsfähigkeit in der Krise sichern sollen, vorgelegt. Der Kommunalausschuss des Landtags führt zu dem Antrag am 11. Juni 2021 eine schriftliche Anhörung durch. Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW hat dazu eine schriftliche Stellungnahme abgegeben.

Im Folgenden finden Sie die Stellungnahme im Wortlaut:

"[...] Der vorliegende Antrag verfolgt zu Recht das übergeordnete Ziel, die kommunale Handlungsfähigkeit in der Krise und darüber hinaus zu sichern. Die drängenden gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen Digitalisierung, Klimaschutz und Verkehrswende werden maßgeblich von den Kommunen zu lösen sein und lassen sich nur mit soliden kommunalen Haushalten bewältigen.

Zugleich lassen aktuelle Prognosen unverminderte Herausforderungen für die Zukunft erwarten. Im Vergleich zur letzten Steuerschätzung vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie aus Oktober 2019 müssen die Städte, Kreise und Gemeinden in diesem und den kommenden drei Jahren bis einschließlich 2024 mit (unmittelbaren) Steuereinbußen in Höhe von rund 31,9 Milliarden Euro rechnen.

Darüber hinaus stellen wir mit großer Sorge fest, dass in diesem und den kommenden Jahren bis mindestens 2024 nach Prognosen des Bundes zusätzlich mit stark ansteigenden Sozialausgaben zu rechnen ist, die mit den Steuerausfällen kumulieren. Beides zusammen wird die Kommunen im genannten Zeitraum in einer Größenordnung von insgesamt rund 40 Milliarden Euro bundesweit belasten. Diese Belastungen können von den Kommunen keinesfalls allein getragen werden und bedrohen massiv die Investitions- und Handlungsfähigkeit gerade der finanzschwachen Kommunen in NRW.

Finanzielle Hilfen sind daher unabdingbar. Denn die nordrhein-westfälischen Städte, Kreise und Gemeinden blicken mit großer Sorge auf die finanziellen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Im Jahr 2020 wurden diese noch durch die gemeinsame Unterstützung von Bund und Land – insbesondere den Gewerbesteuerausgleich und die (dauerhafte) Erhöhung der KdU-Bundesbeteiligung – größtenteils aufgefangen, wobei gleichwohl für 2020 noch Corona-Schäden in Milliardenhöhe isoliert werden müssen. Die Investitionen konnten wie geplant getätigt werden, in der Krise war dies ein wichtiger Stabilitätsanker für die Wirtschaft. Die Entschlossenheit zur kurzfristigen Unterstützung hat geholfen und wir sind für die ergriffenen Maßnahmen dankbar.

Für dieses und die folgenden Jahre stehen weitere Hilfszusagen aus. Bleiben sie aus, werden die Folgen der COVID-19-Pandemie die Städte, Kreise und Gemeinden langfristig belasten und kommunale Handlungsspielräume dauerhaft einschränken. Wir sind daher dringend auf weitere Unterstützung des Landes und des Bundes angewiesen.

Zu Ziffer 1: Altschuldenfonds

Die kommunalen Altschulden bilden nach wie vor eine drückende Last für viele Kommunen in NRW. Angesichts der COVID-19-Pandemie und ihrer finanziellen Auswirkungen haben sie eine neue Aktualität gewon-nen: Der bilanziellen Isolation der Corona-Schäden stehen auf der Liquiditätsseite häufig neue Kassenkredite gegenüber. Der Koalitionsvertrag hat zu Beginn der Legislaturperiode zu Recht festgestellt, dass die "Altschulden-Problematik" vor dem Hintergrund des Zinsänderungsrisikos einer Lösung bedarf.

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erhöhen massiv den Druck, eine Lösung für die Altschulden zu finden. Zu einer Altschuldenlösung in Nordrhein-Westfalen hat es in den vergangenen Jahren immer wieder Vorschläge und Diskussionen gegeben. Wir haben unsere Vorstellungen möglicher und praktikabler Wege einer Altschuldenlösung gegenüber dem Landtag mit Stellungnahmen vom 29.03.2018 (Stellungnahme 17/458), 28.06.2019 (Stellungnahme 17/1685) und 09.06.2020 (Stellungnahme 17/2755) wiederholt dargestellt und fortentwickelt. Dabei haben wir stets betont, dass die betroffenen Kommunen bereit sind, einen angemessenen eigenen Tilgungsbeitrag zu leisten.

Noch fehlt es aber an der konkreten Umsetzung. Mit Auslaufen des Stärkungspaktes zum Ende dieses Jahres drängt die Zeit. Im letzten Jahr des Stärkungspakts muss nicht nur der Fahrplan für das "Generationenprojekt Altschuldenlösung" aufgestellt werden, auch die Umsetzung muss spätestens mit dem Jahreswechsel 2021/22 starten. Andernfalls drohen die Erfolge des Stärkungspakts zu verpuffen.

Zu Ziffern 2 und 3: Gewerbesteuerausgleich

Der Gewerbesteuerausgleich durch Bund und Land hat sich im vergangenen Jahr als erfolgreiches Instrument erwiesen. Er muss angesichts der weiterhin desolaten Aussichten bei den kommunalen Steuererträgen auch im laufenden Jahr 2021 fortgesetzt und eine Verlängerung für das Folgejahr in Aussicht gestellt werden. Durch eine Erweiterung auf die Gemeindeanteile an der Einkommensteuer könnte eine breitere Entlastungswirkung erzielt werden. Die Städte und Gemeinden brauchen diese Unterstützung dringend, um einen Einbruch bei den Investitionen verhindern zu können.

Laut den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung 2021 erholt sich die Gewerbesteuer (brutto) nach dem historischen Einbruch im vergangenen Jahr zwar scheinbar, wird in Wirklichkeit aber weder in diesem (50,5 Milliarden Euro) noch im kommenden Jahr (52,6 Milliarden Euro) das Vorkrisenniveau erreichen. Netto beläuft sich das Gewerbesteueraufkommen in diesem Jahr voraussichtlich auf 46,1 Milliarden Euro (Vor-Corona-Schätzung für 2021: 51,5 Milliarden Euro).

Aufgrund der Abstimmungsnotwendigkeit zwischen Bund und Ländern drängt hier die Zeit besonders. Das Land Nordrhein-Westfalen sollte sich aktiv in die Diskussion einbringen. Eine von hier koordinierte Bundesratsinitiative könnte ausschlaggebend sein, um auch die Bundespolitik von der Notwendigkeit erneuter finanzieller Hilfen für die Kommunen zu überzeugen.

Zu Ziffer 4: NKF-CIG

Das Land hat den Kommunen mit dem NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz (NKF-CIG) in der Krise eingeräumt, die finanziellen Schäden im Haushalt isoliert darzustellen und gesondert zu verbuchen. Gesetzlich beschränkt sich die Isolationsmöglichkeit bislang auf den Jahresabschluss 2020 und die Haushaltsplanung 2021. Eine gemeinsame Betrachtung des Städtetags und des Städte- und Gemeindebundes weist landesweit hochgerechnet einen isolierten Corona-Schaden für das Jahr 2020 in Höhe von ca. 1,5 Milliarden Euro aus – trotz der umfangreichen Hilfen im vergangenen Jahr.

Eine Abfrage der Corona-bedingten Kosten unter den 31 Kreisen in Nordrhein-Westfalen ermittelte eine zu isolierende Nettomehrbelastung (ohne ÖPNV-Einbußen) von 296 Millionen Euro für das Jahr 2021. Für das laufende Jahr 2021 planen die Städte und Gemein-den aufgrund der bislang fehlenden Hilfszusagen mit einer Isolation in Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Im Rahmen der Mittelfristplanung bis 2024 dürften sich die Schäden auf deutlich mehr als 10 Milliarden Euro summieren.

Die kommunale Ebene wurde mit dem NKF-CIG in die Lage versetzt, die Corona-bedingten Belastungen zunächst haushaltsrechtlich neutral zu verarbeiten. Eine Bilanzierungshilfe ersetzt jedoch nicht die dringend benötigte finanzielle Unterstützung der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die Kommunen können die Lasten der Pandemie auch dann nicht allein tragen, wenn haushaltsrechtliche Folgewirkungen durch bilan-zielle Maßnahmen vorübergehend vermieden werden. Zusätzliche Hilfen durch Land und Bund sind hier unerlässlich.

Zu Ziffer 5: Verbundmasse im GFG

Das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) des kommenden Jahres 2022 wird von den fiskalischen Folgen der Corona-Krise geprägt sein. Im Moment droht ein Rückgang der Schlüsselzuweisungen um 6,5 Prozent beziehungsweise knapp 900 Millionen Euro. Echte Zuweisungen zur Stabilisierung der kommunalen Finanzsituation sind daher unabdingbar. Die Stabilisierung der Finanzausgleichsmittel muss dabei mehrjährig und ohne Rückzahlungsverpflichtung ausgestaltet werden.

Zu Ziffer 6: Fortführung der Corona-Hilfen

Wir begrüßen die Forderung an die Landesregierung, die Fortführung der Corona-Hilfen und die Teilhabe der kommunalen Unternehmen daran für die Jahre 2021 und 2022 sicherzustellen. Die November- und Dezemberhilfen des Bundes, die auch für die kommunalen Unternehmen zur Anwendung kamen, sind Ende 2020 nicht verlängert worden. Den kommunalen Unternehmen muss aber weiterhin Unterstützung zukommen. Denn auch diese leiden, ebenso wie die privatwirtschaftlichen Unternehmen, unter der Corona-Pandemie und dem Lockdown.

Insbesondere diejenigen sind in eine existenziell bedrohliche Lage geraten, die ihre Geschäftstätigkeit in den besonders betroffenen Wirtschaftsbereichen haben, wie beispielsweise Flughäfen, Messen, Veranstaltungs- und Kongresszentren, Häfen, Bäder und Kultur- sowie Weiterbildungseinrichtungen. Die Kommunen sind aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung, zum Beispiel wegen geringerem Gewerbe-steueraufkommen nicht in der Lage, die finanziellen Verluste ihrer Unternehmen vollständig auszugleichen.

Zu Ziffer 7: Kommunale Kultureinrichtungen

Kunst und Kultur tragen zur Lebensqualität der Menschen und zur Standortqualität der Städte, Kreise und Gemeinden maßgeblich bei, und ihnen kommt auch für den sozialen Zusammenhalt eine wichtige Bedeutung zu. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, dass im o.g. Antrag die Unterstützung der kommunalen Kul-tureinrichtungen explizit vorgesehen ist. Je länger die Pandemie dauert, desto größer wird die Sorge, dass es zunehmend auch unabhängig von der Finanzkraft der einzelnen Kommune zu gravierenden Einschnitten in der kommunalen Kulturförderung sowohl der freien Kulturszene als auch der öffentlich getragenen Kultureinrichtungen vor Ort kommt.

Die Kommunen schultern große Aufgabenlasten zur Bewältigung der Corona-Pandemie bei gleichzeitig sinkenden Gewerbesteuereinnahmen. Kürzungen bei den sogenannten freiwilligen Aufgaben wie der Kultur sind vor diesem Hintergrund zu befürchten, wenn es keine ausreichen-den Hilfen durch Bund und Länder gibt. Dies betrifft auch und gerade die kommunalen Kultureinrichtungen, die einen wesentlichen Bestandteil der Kulturlandschaft in Deutschland bilden.

Es ist davon auszugehen, dass die Kultur erst mit dem Ende der Pandemie wieder in vollem Umfang aufleben kann. Derzeit befinden sich die meisten Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen in einem teils seit Monaten andauerndem Lockdown. Selbst wenn der Kulturbetrieb bei sinkenden Inzidenzzahlen langsam wieder aufgenommen werden kann, werden durch die erforderlichen Schutzvorkehrungen wie zum Beispiel den Mindestabstand und die dadurch begrenzten Platz- und Besuchskapazitäten deutliche Einnahmeverluste entstehen. Die technische Aufrüstung der Einrichtungen zum Beispiel durch geeignete Lüftungsanlagen wird erhöhte Investitionen erfordern. Die kurzfristige Auflage eines Sonderfonds erscheint daher sinnvoll, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen.

Zu Ziffer 8: Digitalisierung im Schulbereich

Wir haben uns bereits mehrfach und tiefgehend zu den Folgekosten der Schuldigitalisierung geäußert. Insoweit wird insbesondere auf die Landtags-Stellungnahme 17/1392 vom 26.03.2019 (https://is.gd/rpUxfM) sowie auf das zugehörige Anhörungsprotokoll vom 03.04.2019 (Seite 6 bis 29 – https://is.gd/mIKC04) und auf die Landtags-Stellungnahme 17/3704 vom 05.03.2021 (https://is.gd/b3yk02) Bezug genommen. Im Rahmen der Sofortausstattungsprogramme für bestimmte Schülerinnen und Schüler sowie für das Lehrpersonal haben auch die Schulträger digitale Endgeräte auf eigene Kosten beschafft.

Die bestehenden Förderprogramme werden die Kosten der Kommunen u. a. für die Bestellung, Registrierung, Konfiguration, aber auch für die weitere Administration der beschafften Endgeräte jedoch bei weitem nicht decken können.
Das gegenwärtige System der Schulfinanzierung wird mit seiner hergebrachten Unterscheidung "innerer" und "äußerer" Schulangelegenheiten den gewandelten Bedarfen und Anforderungen insgesamt nicht mehr gerecht; es ist seit langem überholt, praxisfremd und deshalb reformbedürftig.

Die seit Jahren ausbleibende Reaktion des Landes auf die Beantwortung der Frage nach der rechtlichen Allokation der Folgekosten der Schuldigitalisierung durch die kommunalen Spitzenverbände ist ein Symptom dieser übergeordneten Problematik. Der nächste Landtag wird nicht umhinkommen, sich ihrer anzunehmen, wenn die Leistungsfähig-keit des Schulsystems für nachfolgende Generationen von Schülerinnen und Schülern sichergestellt werden soll.

Zu Ziffer 9: Flüchtlingskosten

Die kommunalen Spitzenverbände haben stets die rückwirkende Anpassung der FlüAG-Pauschalen und der Erstattung für die Geduldeten ab 2018 gefordert, so wie ursprünglich auch in 2015 mit der damaligen Landesregierung verabredet. Die jetzige Regelung muss als Kompromiss zur Herbeiführung einer umfassenden Lösung nach einem Jahre andauernden Diskurs über die Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung und der Ausrichtung der Flüchtlingspolitik gesehen werden, bei der nicht alle Forderungen aller Seiten verwirklicht werden konnten."