Geflüchtete aus der Ukraine
07.03.2022

Städte wollen Impfstatus bei Flüchtlingsregistrierung abfragen

Pit Clausen, Vorsitzender Städtetag NRW, gegenüber der Rheinischen Post (RP)
  • Porträtbild von Pit Clausen, Vorsitzender des Städtetages NRW

Interview vom 05.03.2022

RP: Waren Ihnen die Zusagen beim Flüchtlingsgipfel mit dem Ministerpräsidenten konkret genug?

Clausen: Herr Wüst hat ausdrücklich gesagt, dass das Land die Kommunen "ohne Wenn und Aber" unterstützt. Das ist eine gute Botschaft. Wir haben ganz aktuell und akut Probleme, was den Rechtsrahmen und die medizinische Versorgung der Geflüchteten angeht. Konkret ist die Aussage von Herrn Wüst noch nicht.

RP: Niemand traut sich im Augenblick eine Prognose zu. Wie können Sie sich trotzdem vorbereiten?

Clausen: Das ist die große Schwierigkeit. Hunderttausende Menschen sind in den unmittelbaren Anrainerstaaten. Wie viele von ihnen nach Deutschland weiterreisen wollen und wohin dann genau, wissen wir schlicht nicht. Derzeit können die Flüchtenden sich für 90 Tage in Europa frei bewegen. Wir können daher nicht alles planen.

RP: Trotzdem müssen Sie sich ja vorbereiten.

Clausen: Wir planen auf Verdacht und bereiten Kapazitäten vor. Als Oberbürgermeister steht man derzeit ohnehin jeden Tag vor heiklen Rechtsfragen, weil wir ja Vorsorge für Menschen betreiben, die derzeit auf nichts in Deutschland einen Rechtsanspruch haben. Die Flüchtlinge kommen mit einem Status zu uns als wären sie Touristen. Wenn dann der internationale Krankenversicherungsschutz fehlt, kann das schnell eine komplizierte Geschichte werden. Ich habe deshalb dem Ministerpräsidenten geraten, uns kurzfristig per Erlass einen Rahmen zu geben, in dem wir uns rechtlich bewegen dürfen. Nicht dass uns in ein paar Jahren die Rechnungsprüfer für unsere schnelle Hilfe kritisieren.

RP: Die EU gibt Ihnen aber doch Klarheit durch die Aktivierung der sogenannten Massenzustromrichtlinie.

Clausen: Das wird aber noch ein paar Tage dauern, zumal die Richtlinie noch in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Wenn sich die Bundesregierung für die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II oder das Asylbewerberleistungsgesetz entscheidet, hätten wir eine klare Regelung etwa für den Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Sozialleistungen. Dann wäre alles geklärt. Und die Richtlinie gibt nach heutigem Stand eine Möglichkeit der Kontingentierung und der Steuerung, damit es eine gerechte Verteilung auf die Kommunen gibt.

RP: Derzeit gibt es keine Steuerungsfunktion. Und auch keine Registrierung. Wie sollte die erfolgen?

Clausen: Ich rechne fest damit, dass wir eine Registrierung bekommen. Die muss dann aber unbürokratisch sein. Wir sollten nicht die Menschen, die vor Krieg und Zerstörung geflohen sind, damit behelligen, dass sie nach Monaten bei uns im Land noch einmal aus dem Sauerland oder dem Aachener Raum zur zentralen Aufnahmeeinrichtung nach Bochum fahren müssen. Das wäre verrückt. Da müssen wir online Möglichkeiten schaffen, dass das vor Ort passiert. Und wir dürfen auf keinen Fall später zu einer großen Umverteilung kommen. Wenn jemand in der Nähe von Verwandten Zuflucht findet, dann sollten die Menschen nicht wieder aus dieser Struktur herausgerissen werden.

RP: Was versprechen Sie sich von der Wohnraumkarte, mit der Ministerin Scharrenbach bei den Unternehmen der Wohnungswirtschaft freie Wohnungen abfragt?

Clausen: Das ist eine gute Initiative der Wohnungswirtschaft in NRW, die wir gerne nutzen. Wir werden sehen, wie stark das angenommen und akzeptiert wird. Im Moment sind es vor allem Privatpersonen und Wohlfahrtsinitiativen, die Wohnraum aktivieren. Wir als Stadt gleichen das Angebot dann mit den Bedürfnissen der Geflüchteten ab. Es bedarf da auch einer Qualitätskontrolle, denn manches, was gut gedacht ist, ist am Ende keine dauerhafte Lösung für eine Unterbringung.

RP: Wie unterschiedet sich die Situation von der Flüchtlingskrise 2015?

Clausen: Heute kommen viele Menschen ohne Steuerung und Verteilverfahren zu uns und zum Teil auch direkt zu Verwandten. Auch der rechtliche Rahmen war 2015 ein anderer. Da lief alles über das Asylverfahren und man war gleich in einem geordneten Verfahren. Außerdem ist die Emotionalität, Hilfsbereitschaft und Willkommenshaltung diesmal sehr viel herzlicher. Ich nehme eine richtige Zugewandtheit wahr. Viele älteren Menschen erinnern sich an ihre eigenen Fluchterlebnisse.

RP: Ist ein Grund dafür womöglich religiös motiviert?

Clausen: Das glaube ich nicht. Es gab damals eher eine Zurückhaltung, weil es viele alleinstehende junge Männer waren, die zu uns kamen. Diesmal sind es vor allem Frauen mit kleinen Kindern. Das ist eine andere Situation.

RP: Welche Rolle spielt Corona bei Ihren Überlegungen?

Clausen: Wir bieten Tests an, wenn sich jemand meldet. Wir werden die Person bei der Registrierung auch nach ihrem Impf- und Versicherungsstatus fragen. Das Problem ist aber im Augenblick, dass sich gar nicht alle bei uns melden. Wenn die Menschen bei ihrer Familie unterkommen, ist ihr erster Impuls nicht, sich beim Bürgermeister zu melden. Bei uns in Bielefeld wissen wir aufgrund von Meldungen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände von 60 Flüchtlingen, die tatsächliche Zahl dürfte mindestens doppelt so hoch liegen und wird sich täglich ändern.

RP: Kitaplätze sind ohnehin rar. Was wünschen Sie sich diesbezüglich an Unterstützung vom Land?

Clausen: Das, was der Ministerpräsident gesagt hat: Hilfe ohne Wenn und Aber. Wir müssen die Kapazitäten erweitern, aber ich baue jetzt nicht auf Verdacht neue Kitas. Wir müssen schon wissen, wie viele Menschen wann zu uns kommen. Für eine Übergangszeit können wir in den Kitas auch enger zusammenrücken und dann vernünftig den Ausbau planen.

RP: Das Land hat vorgeschlagen, Unterricht auf Ukrainisch anzubieten. Wer muss sich darum kümmern?

Clausen: Das ist originäre Zuständigkeit des Landes. Wenn an den Schulen ukrainischer Unterricht sichergestellt werden soll, hat das Land dafür zu sorgen. Ausstattung, Lehrmaterial und Setzung von Qualitätsstandards ist originäre Aufgabe des Landes. Wir kümmern uns darum, dass es ausreichend Räumlichkeiten gibt.

RP: In der kommenden Woche soll es ein weiteres Treffen mit der Landesregierung geben. Was erwarten Sie?

Clausen: Dann ist es sinnvoll, dass der Ministerpräsident seine Hilfszusage konkretisiert. Wir müssen wissen, nach welchen Kriterien wir Unterstützung leisten sollen, solange die Geflüchteten bei uns rechtlich noch wie Touristen behandelt werden. Es kann ja nicht nur ein Taschengeld und eine absolut notwendige ärztliche Notversorgung sein.

RP: Was raten Sie den Bürgern, die konkret helfen wollen?

Clausen: Wir Städte können vieles leisten über unsere Partnerstädte in Polen. Da können wir wirklich sinnvoll helfen. Die Hilfsbereitschaft der Bürger ist enorm. Sachspenden sind zwar gut gemeint, sorgen aber für einen zu hohen organisatorischen Aufwand. Zielführender wäre es, wenn die Menschen Geld spenden.

Zum RP-Interview mit dem Städtetagsvorsitzenden Pit Clausen auf der Website der Zeitung