Änderung des Infektionsschutzgesetzes
22.04.2021

Städtetag lobt Bundes-Notbremse: Klare Regeln

Pit Clausen, Vorsitzender des Städtetages NRW und Oberbürgermeister aus Bielefeld, begrüßt im Interview mit der Rheinischen Post die bundeseinheitlichen Regelungen der Corona-Notbremse.

Die Bundeskanzlerin hat ihre Drohung wahrgemacht und regelt die Corona-Notbremse jetzt per Bundesgesetz. Halten Sie das für den richtigen Schritt?

Pit Clausen: Unterm Strich ja. Das bundesweit unterschiedliche Corona-Regelwerk bei hohen Inzidenzen hat sich mit seiner Unübersichtlichkeit zu einem kommunikativen Desaster entwickelt. Die Menschen haben da nahezu zwangsläufig völlig den Überblick verloren. Das war eine gefährliche Entwicklung, weil so das Vertrauen in die Maßnahmen in Gänze erschüttert wurde. Der nun beschrittene Weg stellt aus meiner Sicht einen Befreiungsschlag dar. Wenn man die Strategie für die Notbremse jetzt bundeseinheitlich aufstellt, lassen sich die Regeln klarer kommunizieren.

Vorausgegangen war viel Kritik an den Ministerpräsidentenkonferenzen. Allerdings ist der Prozess eines Bundesgesetzes ungleich komplizierter. Ist eine Bund-Länder-Runde nicht schneller und schlagkräftiger?

Pit Clausen: Die Entwicklung eines Gesetzes dauert natürlich länger. Aber eine Ministerpräsidentenkonferenz schafft nie unmittelbar Recht. Da haben 16 Länderchefs am Ende einer langen Nachtsitzung ihre Hausaufgaben mit auf den Weg bekommen. Und sie waren ja noch nicht mal daheim angekommen, da hatte jeder schon seine Hausaufgabe völlig anders interpretiert. Dann musste das Ganze noch in Landesverordnungen gegossen und von den Kommunen exekutiert werden. All diese Schritte fallen jetzt weg, weil wir ganz klare Regeln bekommen. Wenn die Inzidenz einen bestimmten Wert überschreitet, dann herrschen beispielsweise Ausgangsbeschränkungen ab 22 Uhr.

Wie beurteilen Sie deren Kontrollierbarkeit durch die Kommunen?

Pit Clausen: Gestartet war man ja mit einer glasklaren Ausgangsbeschränkung. Im Laufe des Prozesses sind aber so viele Ausnahmen hinzugekommen – für Schichtarbeiter, Hundehalter, Jogger, Spaziergänger –, dass man sie de facto gar nicht kontrollieren kann. Trifft unser Ordnungsdienst draußen jemanden, der sich mit seinem Kumpel zum Bier verabredet hat, dann wird der einfach sagen, er sei auf einem Spaziergang. Herausgekommen ist also ein durchlöchertes Regelwerk.

Hätte man dann aus Ihrer Sicht besser komplett auf die Ausgangsbeschränkung verzichten sollen?

Pit Clausen: Nein. Sie hat schon eine Signalwirkung. Sie gibt den Bürgern eine Orientierung, was von ihnen erwartet wird und ist damit schon hilfreich.

Wie beurteilen Sie die weiteren Bausteine des Gesetzes?

Pit Clausen: Wir haben jetzt klare Regelungen im Bereich Schule, die strenger ausfallen als das, was wir bislang in NRW hatten. Bei einer Inzidenz von 165 ist Schluss mit dem Präsenzunterricht. Lange war es für uns Kommunen als Schulträger extrem mühsam, bei den Schulen überhaupt eine Veränderung durchzusetzen. Da herrschte im Schulministerium eine Wagenburgmentalität. Der Normalmodus wurde verteidigt, statt auf Krisenmodus umzustellen. Das war für uns schwierig, die wir pragmatisch vor Ort die Pandemie bekämpfen wollten. Das ist aber aufgebrochen worden, als der Ministerpräsident die Federführung dem Gesundheitsministerium übertragen hat. Das System Schule ist nur schwer zu steuern, deswegen helfen uns aber nun die klaren Regeln des Gesetzes bei hohen Inzidenzen.

Wir begrüßen außerdem, dass bundesweit klar entschieden wird, Kitas ab einer Inzidenz von 165 zu schließen. Nun ist das Land gefordert, unverzüglich zu regeln, welche Eltern ihre Kinder in die Notbetreuung bringen dürfen. Uns ist vor allem der Gleichklang bei Schule und Kita wichtig. Eltern verstehen nicht, warum Schulen geschlossen und Kitas geöffnet sind.

Ein weiterer Baustein ist der Umgang mit dem Handel. NRW hatte die Notbremse mit der Test-Option und dem Shoppen mit Termin weitgehend aufgeweicht. Wie wird in den Städten bislang dieses "Click and meet" angenommen?

Pit Clausen: Das Handelsangebot in Verbindung mit einem Test wird spärlich nachgefragt. Das liegt deutlich unter unseren Erwartungen und denen des Handels. Wir haben in Bielefeld Testkapazitäten von bis zu 60.000 Tests pro Woche aufgebaut. Das wird nur zu einem geringen Anteil genutzt. Das hängt natürlich damit zusammen, dass viele Menschen jetzt aus Sorge vor einer Infektion in der dritten Welle ihre Einkäufe verschieben. Sie warten und hoffen auf Licht am Ende des Tunnels durch das gesteigerte Impftempo.

Viele Testzentren könnten bald wieder schließen, wenn nicht ausreichend Testwillige kommen.

Pit Clausen: Diese Sorge teile ich. Es ist ja richtig, mit Tests so weit wie möglich in das Dunkelfeld hineinzuleuchten. Aber da muss man sich dann auch überlegen, wie man den Menschen ein attraktives Angebot macht. Wir diskutieren bei uns in der Verwaltung, ob wir den Zutritt zu den Behörden an einen tagesaktuellen Test knüpfen. Das hätte auch den Charme, dass wir an Teile der Bevölkerung herankommen, die Sie mit Testangeboten über das Shoppen ohnehin nicht erreichen. Natürlich müssen wir alle rechtlichen Hürden zuvor klären. Wir werden die Teststellen auch in Zukunft brauchen, wenn vielleicht auch in anderer Konzeption.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Prozess bei den Modellkommunen?

Pit Clausen: Es ist richtig, in der Krise darüber nachzudenken, was man macht, wenn sich die Lage verbessert. Es wäre schlecht, wenn man bei einem Rückgang bei den Zahlen nicht vorbereitet wäre. Aber der Zeitpunkt, den die Landesregierung gewählt hat, war nicht glücklich. Das Verfahren war zudem ungewöhnlich. Es wurde uns ad hoc ein Projekt angekündigt, dass dann für hitzige Diskussionen in allen Gebietskörperschaften gesorgt hat, obwohl nichts klar war. Bekommen wir mehr Testkontingente, mehr Impfungen?

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein – etwa im Bereich des Digitalen? Bekommen wir mehr Geld? Und dann wurde das Verfahren von Herrn Pinkwart vorgestellt und der Aufruf mit einer schmalen Frist von 24 Stunden gestartet. Das war alles sehr unglücklich – und das ist noch mit staatsmännischer Zurückhaltung formuliert.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen durch die Pandemie geändert? Zum besseren oder Schlechteren?

Pit Clausen: Das Verhältnis hat sich weiterentwickelt. Wir waren zu Beginn bestenfalls Adressaten von Anordnungen. Wir werden heute stärker als kompetente Partner in der Umsetzung wahrgenommen. Ich würde mir allerdings wünschen, dass man unsere besondere Kompetenz auch schon einbezieht, wenn die Entscheidungen vorbereitet werden. Wir sind ja gutwillig und verstehen uns als Teil des Staates bei dieser Bekämpfung der Pandemie. Wir möchten gerne nicht mit dem fertigen Regelungswerk beglückt werden. Stattdessen könnte man unsere praktische Erfahrung auch in Sachen Umsetzbarkeit einfließen lassen. Das gelingt leider noch nicht - im Übrigen auch nicht beim Infektionsschutzgesetz.

Wie lange benötigen wir die Impfzentren in den Städten noch?

Pit Clausen: Solange es die Priorisierung und den Mangel an Impfstoff gibt, kommen wir um die Impfzentren nicht herum. In Bielefeld haben wir 400 Hausärzte. Ich habe viel Respekt vor den Ärzten und glaube an ihre Rechtstreue, aber sie werden das nicht mit der gleichen Genauigkeit hinkriegen, wie wir das in einem Impfzentrum steuern können. Wenn in den kommenden Wochen genügend Impfstoff da ist und die Priorisierung wegfällt, werden auch nach und nach die Impfzentren nicht mehr nötig sein.

Welche Erwartungen haben Sie an die Landesregierung, Ihnen die coronabedingt weggebrochenen Einnahmen auszugleichen?

Pit Clausen: Bezogen auf 2020 waren Rettungsschirm und Ausgleichszahlung von Bund und Land auskömmlich für die Kommunen. Dass uns derart schnell und umfassend geholfen wurde, war keine Selbstverständlichkeit. Die Pandemie war aber nicht mit dem 31. Dezember beendet. Wir haben erhebliche Einnahmeausfälle bei gleichzeitigen Mehraufwendungen. Wenn man die Kommunen als den wichtigsten Investitionsfaktor erhalten will, dann müssen sie ausreichend finanziert sein. Ansonsten programmiert man eine Investitionskrise. Da würde ich mir sehr zügig Zusagen von Bund und Land wünschen, dass wir diesen Ausgleich auch für 2021 bekommen. Auf dieses Signal warten wir dringend. Wir sind schon dabei, die Haushalte für 2022 aufzustellen und die Planung bis 2025 vorzunehmen. Da benötigen wir jetzt rasch Klarheit, mit was wir planen können. Wir können ja nicht nach Gusto und Neigung unsere Haushalte aufstellen.

Wird es einfacher oder schwieriger mit solchen Anliegen bei einem Ministerpräsidenten Gehör zu finden, der zugleich Kanzlerkandidat der Union ist?

Pit Clausen: (lacht) Bis zur Bundestagswahl ist er immer erreichbar und ansprechbar.

Mit freundlicher Genehmigung der Rheinischen Post, www.rp-online.de